Wenn Vater Rhein die Wärme liefert
In Mannheim werden etwa zwei Drittel der gesamten Nachfrage nach Wärme über die Fernwärme abgedeckt. Das Fernwärmenetz versorgt inzwischen nicht nur Mannheim, sondern die ganze Region. In seiner Unternehmensstrategie ‚Mannheimer Modell‘ plant der in Mannheim ansässige Energiekonzern MVV Energie AG die vollständige Abkehr von der fossil-basierten Strom- und Wärmeversorgung. Eine zentrale Rolle soll Vater Rhein spielen. Wie weit die Unternehmensstrategie gediehen ist und welche Rolle die Wärmenutzung des Rheins spielen kann und bereits spielt – davon konnte sich die Gruppe der Dossenheimer „Ökostromer“ bei ihrem Besuch in Mannheim Anfang Januar überzeugen.
Dass es keine Energiewende ohne Wärmewende geben kann, gilt als unstrittig. Beides ist untrennbar miteinander verbunden, erfordert aber unterschiedliche Maßnahmen und Strategien. Bis zum Jahr 2030 soll eine CO2-Reduktion von mindestens 80 % der Emissionen aus dem Jahr 2018 erreicht werden. Der Fernwärmebereich soll bis dahin sogar vollständig klimaneutral gestellt sein. Das soll mit mehreren Bausteinen gelingen: Nutzung der Abwärme aus Abfallbehandlung, die Nutzung der Energie aus Biomasse, aus der Klärschlammverbrennung sowie die Gewinnung und Nutzung von Biomethan, Geothermie und industrieller Abwärme.
Ein besonderer Punkt und entscheidender Baustein soll der Einsatz von Flusswärmepumpen sein, die sich in der grundlegenden Technik nicht von einer Wärmepumpe aus dem Privatbereich unterscheidet, die zum Beispiel dem Grundwasser oder dem Erdreich Wärme für die Raumheizung entzieht.
Im April 2022 war der Spatenstich für eine Flusswärmepumpe auf dem Gelände des Mannheimer Großkraftwerkes (GKM), ein Gemeinschaftskraftwerk der RWE Generation SE (Anteil 40 %), der EnBW Energie Baden-Württemberg AG (Anteil 32 %) und der MVV RHE GmbH (28 %). Das GKM beliefert den Standort Mannheim mit Strom und Fernwärme und die Fernwärme Rhein-Neckar GmbH mit Fernwärme, wobei die Fernwärmeleitungen weit über die Stadtgrenzen hinaus bis nach Speyer im Süden und Heidelberg im Osten reichen. Mehr als 60 % aller Haushalte in Mannheim sind bereits an das etwa 600 km lange Fernwärmenetz angebunden.
Geliefert und gebaut wurde die MVV-Flusswärmepumpe von Siemens Energy. Das Unternehmen hat im Bereich Industrie-Wärmepumpen langjährige Erfahrung. In Finnland und vor allem in Schweden laufen seit etwa 1980 rund 50 Großwärmepumpen – „weitgehend störungsfrei“, wie eine Unternehmenssprecherin versichert. Sie bewegen sich alle in der Größenordnung von 11 bis 125 MWth. Die Mannheimer Niedertemperatur-Wärmepumpe SHP-C600 kommt auf eine Wärme-Ausgangsleistung von 20 MWth und ermöglicht ein Temperaturniveau von drucklosen 98 °C. Die Inbetriebnahme war im Oktober 2023. Sie gilt europaweit als die derzeit größte ihrer Art.
Die Funktion entspricht der einer üblichen Industrie-Wärmepumpe: Das Wasser, das dem Rhein entnommen wird und im Sommer bis zu 25 °C warm ist, gelangt in den Verdampfer, wo es per Wärmetauscher Wärmeenergie an das flüssigen Kältemittel abgibt und dieses zum Verdampfen bringt. Davor zirkulieren in der Anlage rund 15 Tonnen.
Das verdampfte Kältemittel strömt durch einen Tropfenabscheider (Demister) in die erste Stufe eines 2-stufigen Turbokompressors, der von einem Elektromotor über ein integriertes Getriebe angetrieben wird. In der ersten Stufe des Verdichters wird das Kältemittel auf einen Zwischendruck verdichtet. Die zweite Stufe des Verdichters verdichtet das Kältemittel auf den endgültigen Prozessdruck.
Das überhitzte Kältemittel strömt in die Mantelseite des Kondensators, wo das gasförmige Kältemittel kondensiert, während es das fließende Wasser erwärmt und das Fernwärmenetz mit der benötigten Wärme versorgt. Das Kältemittel wird im unteren Teil des Verflüssigers unterkühlt. Um eine maximale Unterkühlung zu erreichen und die Leistung zu erhöhen, wird ein Unterkühler nachgeschaltet. Mit dem Durchströmen eines Hochdruck-Regelventils und eines Entspannungsbehälters wird der Kreislauf geschlossen.
Mit der Anlage sollen jährlich 50 GWh Wärme für das Fernwärmenetz bereitgestellt werden, bei einem durchschnittlichen Strombedarf von 7 MW Leistung, die aber, so versichert die MVV, ausschließlich regenerativ aus Sonnen-, Wind- und Wasserstrom gedeckt wird.
Der Vorteil des Standortes auf dem Geländes der Großkraftwerk Mannheim AG ist die Möglichkeit, die bestehende Infrastruktur zu nutzen: insbesondere die großen Wasserein- und -auslassbauwerke sowie der Anschluss an das Fernwärmenetz. Zusammen mit dem bereits auf dem Gelände vorhandenen großen Fernwärmespeicher und seinen 38.000 m³ ergeben sich vielfältige Synergien und Flexibilität, heißt es bei der MVV.
Um die Rolle der Wärmepumpe zu verdeutllichen, muss man den Gesamt-Energiebedarf des Fernheizsystem betrachten. Im Winter sind dafür zwischen 700 und 800 MWth notwendig; doch da läuft die Wärmepumpe wegen niedriger Wassertemperaturen des Rheins nur selten. Unter 5 °Celsius steht sie komplett still. Sie im Abwasserstrom der Kohleblöcke zu betreiben, wäre zwar technisch sinnvoll, weil die Wärmepumpe damit das ganze Jahr über betrieben werden könnte − doch das sei politisch nicht gewollt, wie ein Werksführer bei der Besichtigung durch die „Ökostromer Dossenheim“ erklärte.
Im Sommer sinkt der Wärmebedarf des System auf 100 MWth, und da läuft die Wärmepumpe dann in Vollast. Immerhin ein Fünftel kann sie dann zur Fernheizung beisteuern.
Wenn irgendwann die angedachte 2. Flusswärmepumpe mit ihren 150 MWth gebaut wird, sieht die Rechnung dann anders aus. Sie wird dann auch in der Lage sein, mit einer Rheinwassertemperatur von 3 °Celsius arbeiten zu können und ganz Mannheim und Umgebung mit Fernheizung zu versorgen − zumindest im Sommer.
Martin Boeckh
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Die Gruppe der Dossenheimer „Ökostromer“ besuchte die Flusswärmepumpe der MVV Energie AG auf dem Gelände des Mannheimer Großkraftwerkes (GKM).
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Im Sommer kann die Flusswärmepumpe rund ein Fünftel des Wärmebedarfs des gesamten Versorgungsnetzes decken.
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Pro Sekunde werden dem Rhein rund 900 Liter Wasser zur Energie-Entnahme entzogen und dann wieder zugeführt. Der Rhein selbst kühlt sich dabei nur um fünf Tausendstel Grad ab.
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Die Gruppe der Dossenheimer „Ökostromer“ war fachkundig und wissensdurstig gleichermaßen.
Alle Fotos: Martin Boeckh
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Die Wärmepumpe in Mannheim nutzt Rheinwasser als Wärmequelle und erzeugt daraus Fernwärme mit einer Leistung von 20 MWth.
Quelle: Siemens Energy/MVV